Es gibt eine unendliche Fülle an Büchern zum Thema Change Management. Doch die Lektüre vermittelt im Großen und Ganzen das, was ich auch als Managementberater bei einer Vielzahl von Strategieund Umsetzungsvorhaben erlebe: Hauptgegenstand sowohl der praktischen wie der theoretischen Auseinandersetzung mit Change Management ist der „Input“ und nicht das, worauf es ankommt – das angestrebte Ergebnis.
Ein Großteil der einschlägigen Literatur beschäftigt sich mit singulären Fragestellungen oder Methoden. Worauf es bei der Umsetzung von Strategien und dem Gelingen von Veränderungen jedoch ausschließlich ankommt, ist das Ergebnis, das erreicht werden soll. Erfahren und fachlich versiert wie Sie sind, werden Sie sicherlich einen Überblick über die Literatur zum Thema Change Management haben.
Um also nicht Eulen nach Athen zu tragen, werde ich Ihnen hier nicht erzählen, wie Change Management theoretisch geht, sondern wie Change Management in der Praxis genau nicht geht. Ich werde Ihnen vor dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrung zeigen, woran es gewöhnlich scheitert.
Um es ganz knapp zu formulieren: Es sind die erfahrenen und fachlich kompetenten, für Change Management verantwortlichen Menschen, an denen es in der Regel auch scheitert.
Meine fünf Thesen dazu lauten:
1. Change Management wird missverstanden als bloßes Reagieren auf externe Veränderungen.
Diese gibt es natürlich, aber daneben ist der intern eingeleitete Wandel ebenso existent und wichtig. Beide Prozesse müssen beachtet werden.
2. Change Management scheitert meist daran, dass Manager mit sich selber nicht wirklich geklärt haben, was Sie eigentlich genau wieso ändern wollen.
3. Die Schwierigkeit des Change Managements besteht nicht in der Definition des Ziels, sondern in der Reise dahin.
4. Die einzig machtvollen Veränderungstreiber sitzen im Unternehmen, und zwar an seiner Spitze.
5. Effektives Change Management braucht „Commitment“ und nicht „Compliance“.
Nachfolgend möchte ich Ihnen die zweite These anhand von Beispielen näher erläutern.
2 Change Management Beispiele:
Die Frage nach dem was und warum der Veränderung
Change Management scheitert meist daran, dass Manager nicht wissen, was genau sie eigentlich warum ändern wollen. Und das bezieht sich sowohl auf die „greifbaren“ Dinge (Strukturen, Prozesse, Systeme) als auch auf die „weichen“ Themen (Werte, Führung, Zusammenarbeitsmodell).
Diese zweite These ist keine Kleinigkeit! Denn die Klärung dessen, was geändert werden soll, erfordert Zeit und Ressourcen. Ist diese Herausforderung bewältigt, erkennen wir in Change – nüchtern betrachtet – nichts weiter als die Umsetzung einer Strategie zur Erreichung gesetzter Ziele. Es ist ein Mittel zum Zweck, es ist Taktik. Sagt man von jemandem, er denke oder handle taktisch, ist landläufig gemeint, dieser Jemand genau weiß, was er will und warum er es will.
Dieser Art des kalkulierten Verhaltens jedoch begegnet man im Change Management selten, häufiger leistet man sich dort den Luxus, Dinge im Unklaren zu lassen, in der Schwebe zu halten. Dabei war und ist Change Management keine Zauberei, kein magischer Trick.
Stellen Sie sich beispielsweise ein Unternehmen vor, das die Schlagworte „Internationalisierung“, Innovation“ und „Partnerkooperationen“ auf seine Fahnen geschrieben hat. Als was sonst sollen diese drei Hebel, und nichts anderes sind sie, eingesetzt werden denn als taktische Werkzeuge?
Es ist zwar generell keine schlechte Idee, das Pferd auch einmal von hinten aufzuzäumen, und mit den offensichtlich angezeigten operativen Hebeln zu beginnen. Aber dennoch muss auch bei diesem Vorgehen eine klare Zielsetzung formuliert werden.
Sonst geht es Ihnen so wie Dr. Frankenstein in seinem Kabinett, wo nichts als trial and error am Werk war, Ausprobieren, was geht. Und wenn das Ding dann aufsteht und laufen lernt, findet man es fürchterlich schön. Sollte das Experiment, und nichts anders ist das mehr oder weniger ziellose Ansetzen bzw. Angehen der vermeintlich offensichtlichen Themen, außer Kontrolle geraten und man sich gezwungen sehen, ganz schnell den Stecker zu ziehen, erlebt man es als fürchterlich grausig.
Bis man sich nach einem solchen Schock an einen nächsten Versuch wagen kann, muss viel Zeit vergehen. Und eine Gefolgschaft für das Follow-up-Projekt zu finden ist quasi unmöglich: die Legende um das Monster ist längst in aller Munde.
Bevor Sie also zum Schöpfer eines Monsters werden, überlegen Sie sich gut, was Sie genau aus welchen Gründen ändern wollen.
Um das herauszubekommen, helfen Retropolationen: Das heißt, Sie überlegen sich, wo Sie in ein oder zwei Jahren stehen und was dort im Vergleich zu heute genau anders ist – im Umgang mit Kunden, mit Mitarbeitern.
Bevor Sie auch nur anfangen, sich um Change Gedanken zu machen, müssen Sie wissen, was Ihr Zielbild, Ihr Zukunftsbild ist.
Nur zu häufig erlebe ich, dass es in Unternehmen kein Zukunftsbild gibt, wenigstens keins in der erforderlichen Konkretheit. Stattdessen werden emsig Programme und Projekte losgetreten, aber schon nach kurzer Zeit weiß niemand mehr, warum all das geschieht. Es wird furchtbar viel getan, aber all der Aktionismus führt am Ende zu reichlich wenig.
Zur Veranschaulichung des Problems ein Beispiel aus dem Alltag. Stellen sich eine Familie mit zwei Kindern vor. Was ist die Vision dieser Familie? Schon darüber ließe sich trefflich und endlos streiten.
Unterstellen wir nun der Einfachheit halber einmal, unsere Familie hat die Vision, die glücklichste Familie auf der Welt zu sein. Eine Vision ist – ob auf der persönlichen oder der unternehmerischen Ebene – nichts anderes als ein Ausdruck von Daseinsberechtigung.
Wozu bin ich, sind wir auf der Welt?
Worin verstehe ich als Unternehmen meinen Auftrag?
Um die Vision nun greifbar zu machen, müssen Ziele formuliert werden. Das heißt:
Ziele müssen so gewählt sein, dass sie mich der Vision, die an sich nie erreichbar ist, ein Stückchen näher bringen.
In diesem Sinne entscheidet sich unsere Familie für folgende drei Ziele:
1. Ein vertrauensvolles Miteinander
2. Gemeinsam viel von der Welt zu sehen und dabei zu lernen
3. Ein Leben frei von finanziellem Stress.
Beachten Sie bitte an dieser Stelle, dass unter der Vision, die glücklichste Familie der Welt zu sein, auch völlig andere Ziele gewählt werden könnten, wie zum Beispiel ein großes soziales Netzwerk zu haben, immer füreinander da zu sein oder den Kindern alles zu geben und zu ermöglichen (siehe Abb. 1).
Aufbauend auf der Vision und den Zielen gibt es nun verschiedene strategische Optionen, wie die gesteckten Familien-Ziele erreicht werden können. Nehmen wir nur zwei der unendlich vielen möglichen strategischen Optionen, die unsere glücklichste Familie der Welt hat, um Ihre Ziele zu erreichen.
Das Bild von der Zukunft, und nichts anderes ist eine strategische Option, könnte so aussehen, dass man sich abseits jeglichen Stadtlebens ein altes Bauernhaus kauft, dieses renoviert, auf digitale Medien weitestgehend verzichtet, um möglichst viele Gespräche miteinander zu führen, sehr sparsam und bei einem hohen Anteil von Eigenversorgung lebt, um viel reisen zu können und wenig Zeit in die Finanzierung irgendwelcher materiellen Güter investieren zu müssen.
Ein ganz anderes Bild, eine vollkommen andere strategische Option, zur Erreichung der exakt selben Ziele unter derselben Vision könnte so aussehen, dass man beschließt ein gemeinsames, international ausgerichtetes Unternehmen zu gründen, ein Familienunternehmen, so dass man
a) sehr viel Zeit miteinander verbringt,
b) gemeinsam viel von der Welt sieht und lernt und
c) so die Chance auf ein vertrauensvolles Miteinander hat, da man viele Erfahrungen – eben auch berufliche – teilt, und
d) zu guter Letzt dabei frei von finanziellen Sorgen ist.
Ein völlig anderes Bild, zwei völlig unterschiedliche strategische Optionen zur Erreichung genau derselben Ziele (siehe Abb. 2). Alleine diese Differenzierung, die auf den ersten Blick technokratisch erscheinen mag, ist für ein erfolgreiches Change Management meiner Erfahrung nach derart bedeutsam, dass ich diese nicht überbetonen kann.
Klarheit darüber, dass es Ziele gibt, die mit verschiedenen strategischen Optionen erreicht werden können ist notwendig, damit man ein Gefühl für die strategische Bandbreite bekommt.
Natürlich befindet sich unsere Familie in einer ganz bestimmten Lebenssituation, einem Zustand A, einem Status quo, der durch die Umsetzung strategischer Optionen in einen möglichen neuen Zustand B überführt werden soll (siehe Abb. 3), dann wenn unsere Familie sich beispielsweise für die Strategie Bauernhaus auf dem Lande und intensive Eigenversorgung entscheidet.
Sie merken also, dass eine Strategie ein Zielzustand ist und keinerlei Aktivitäten, Hebel, Themen oder Projekte und Programme darstellt!
Dies ist im Übrigen eines der größten Missverständnisse, das mir in allen Unternehmen immer wieder begegnen. Und dieses Missverständnis ist nicht selten der Grund für misslungene Strategien und gescheiterte Change-Vorhaben.
Als nächstes stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem strategischen Gap, der strategischen Lücke, die es zu schließen gilt zwischen dem heutigen Zustand A und dem angestrebten Zustand B. Diese strategische Lücke ist es, die es zu greifen gilt. Ist sie doch das Einzige, worum sich Change Management zu kümmern hat.
Es ist zu fragen:
- Was soll anders werden?
- Wie fühlt sich das an?
- Was fällt weg?
- Was kommt hinzu?
Für ein erfolgreiches Change Management brauchen Sie ein klares Bild, eine klare Vorstellung von der Zukunft und eine klare Bestandsaufnahme des Status quo, um daraus abzuleiten, was Sie genau warum (mit Bezug zu Zielen und Vision) ändern möchten.
Sowohl auf der „harten“ (Strukturen, Prozesse, Systeme) wie auch „weichen“ Seite (Werte, Führung, Miteinander).
Ohne diese Klarheit ist jede Art von Change Management vielleicht nicht unbedingt zum Scheitern, aber auf jeden Fall zur Ineffizienz verurteilt.
Angenommen unsere Familie lebt momentan in einer Vierzimmerwohnung mitten in Berlin, beide Eltern arbeiten und das „vertrauensvolle Miteinander“ beschränkt sich auf oberflächliche Gespräche. Außer der Müritz und dem Harz haben Sie noch nicht viel von der Welt gesehen, finanziellen Stress gibt es nicht, dafür ein paar Ersparnisse.
Wenn Sie die strategische Lücke nun konkret gegriffen bekommen, die Sie mit Change Management schließen wollen, müssen Sie sich als Nächstes fragen:
Woran merke ich konkret, und zwar nicht erst nach zwei oder drei Jahren, sondern bei monatlicher Überprüfung, dass ich mit meinem „Change“ vorankomme?
Was sind meine Fortschrittskriterien mit Blick auf die angestrebte Veränderung, dem angestrebten andersartigen Zielzustand?
Es sind zu diesem Zeitpunkt also keine Maßnahmen oder Programme gefragt, um dem Ziel näher zu kommen. Vielmehr müssen Sie sich als Erstes überlegen, woran Sie spüren und sehen, dass Sie Fortschritte machen.
Das ist eines der Schlüsselelemente für erfolgreiches Change Management:
nicht inputorientiert über Meilensteine, Aktivitäten, Projekte arbeiten, sondern outputorientiert über Ergebnis- und Fortschrittskriterien, die nicht direkt auf die gesetzten Ziele, sondern bezogen auf den Zukunftszustand, den ich als Familie erreichen möchte, gestaltet sind.
Das kann in unserem Familien-Beispiel die Anzahl der besichtigten Bauernhäuser sein, die Anzahl der vertrauten Gespräche in den letzten vier Wochen oder der Anteil der tatsächlich mit den Kindern verbrachten Zeit sein.
Das Beispiel auf der persönlichen Ebene lässt sich eins zu eins auf den Unternehmensalltag übertragen. Meist ist es so, dass einige Ziele existieren, häufig allerdings zu viele, die zudem zu abstrakt bleiben. Und anstatt nun als Erstes die Lücke zwischen dem Status quo und dem angestrebten Zielzustand zu klären, werden eine Vielzahl von Projekten und Programmen bezogen auf die Ziele gestartet – ohne ein klares Bild von der neuen Situation und dem angestrebten Zielzustand, der erreicht werden soll, zu haben.
Und „erstaunlicherweise“ haben diese Projekte im Verlauf der Zeit immer weniger miteinander zu tun und entwickeln ein Eigenleben. Anschließend ist das Erstaunen groß, warum aus der Anpassung der Vertriebsstrukturen, der Entwicklung von Produkten und der synergetischen Gestaltung von Service- Innovationen so wenig geworden ist und alles so zäh vorangeht.